„Habt keine Angst!“
von Georg Gafron
Ein „Neujahrsempfang“ Anfang Mai- das konnte doch nur ein etwas verspäteter Karnevalsgag sein, musste jeder bei der diesjährigen Einladung des „Ring Deutscher Makler “ (RDM) für den vergangenen Sonnabendvormittag in den renommierten Journalisten Club im 19. Stock des Axel-Springer-Hauses in Berlin-Kreuzberg denken. Das wunderliche Datum stand für die hoffentlich überwundene Heimsuchung des Corona-Virus, die über zwei Jahre jedes öffentliche zusammentreffen auch nur kleiner Menschengruppen unmöglich machte. Auch jetzt noch war die Teilnehmerzahl, im Vergleich zu „normalen“ Neujahrsempfängen des RDM im Januar, beschränkt- Maske und negativer Testnachweis absolutes Muss!
Eigentlich hätte man erwarten müssen, dass das Thema „Corona und die Folgen“ auch jetzt noch dominieren würde. Doch es zeigt die dramatische Schnelllebigkeit unserer Zeit, dass ein anderes Ereignis von mindestens gleichhoher Bedeutung- der Überfall Russlands auf die Ukraine- alles Andere überdeckte.
Wie ein roter Faden zog sich das grausame Geschehen- nicht einmal zwei Flugstunden entfernt- durch die Ansprachen und Gespräche.
Schon in seiner Eröffnung mahnte Markus Gruhn, Vorsitzender des RDM, dass jedem klar sein müsse, dass die Verteidigung der Freiheit in der Ukraine auch unserem Interesse gelte und volle Unterstützung verdiene. Gruhn erinnerte noch einmal an die Herausforderungen für den freien Teil Berlins in den Nachkriegsjahrzehnten bis zum Fall der Mauer und der darauffolgenden Wiedervereinigung unseres Landes. Ob es die sowjetische Blockade der Westsektoren 1948/49 und die damit verbundene Luftbrücke der Amerikaner und Briten war, das Chruschtschow-Ultimatum 1958 oder der Mauerbau am 13. August 1961 gewesen sei, immer hätten die Berliner, Seite an Seite besonders mit den USA diese Gefährdungen überstanden. Verlässlichkeit und Standfestigkeit seien auch heute wieder die Voraussetzung dafür, gefährliche Lagen zu meistern. Auch die Berliner Immobilienwirtschaft habe durch ihre bleibende Präsenz ihren Beitrag zum Überleben der Freiheit dieser Stadt in schwerer Zeit geleistet.
So, wie sie auch heute den versuchten Eingriffen in das Eigentumsrecht durch beabsichtigte Enteignungen von Teilen der Wohnungswirtschaft ihren Widerstand entgegensetze. Die Nazi-Herrschaft und die SED-Diktatur hätten gezeigt, wohin auch solche Angriffe auf die Freiheit des Marktes führen würden. Gleichzeitig forderte der RDM-Vorsitzende den Senat erneut dazu auf, die Transparenzverordnung der EU zur Feststellung der tatsächlichen Eigentümer von Grundstücken, die von Strohmännern und Scheinkonstrukten vertreten werden, durchzusetzen. Auch in Berlin verfügten besonders russische Staatsangehörige mit unbekannten Aufenthaltsort über beträchtlichen Immobilienbesitz, ohne dies kenntlich gemacht zu haben.
Bei seinem Dank an den Axel-Springer-Verlag, und insbesondere an die im Hause als „Blaue Gruppe“ bezeichnete Kombination von „Welt“ und „Welt am Sonntag“, die die Veranstaltung ausgestaltete, erinnerte Gruhn daran, dass Axel Springer nur zwei Tage nach dem Mauerbau 1961, als viele Unternehmen Berlin verließen, den Grundstein für das Verlagsgebäude in der damaligen Kochstraße, unmittelbar an der Sektorengrenze, legte.
Es war bemerkenswert, wie aufmerksam die Berliner Stadtgesellschaft Gruhns Worten lauschte. Wie immer bei RDM Anlässen wurde darauf geachtet, ein möglichst breites Spektrum der Gesellschaft zusammenzuführen. Die Gästeliste reichte von den ehemaligen Regierenden Bürgermeistern Klaus Wowereit und Michael Müller, über den amtierenden Wirtschaftssenator Stephan Schwarz bis hin zu Vertretern der Deutschen Kulturszene. Unter den Ehrengästen war auch extra am Morgen von Klagenfurt angereist aus der bedeutendsten deutsch-österreichischen Unternehmer-Dynastie die Unternehmerin Ingrid Flick, die gemeinsam mit der Filmlegende Otto Retzer und seiner Frau Shirley Retzer nach Berlin gekommen sind. Aus München reisten der Musiker John Jürgens und der Filmproduzent Martin Krug an, der Geburtstag an diesem Tag sogar hatte. Aber natürlich war auch der Präsident der Berliner Wirtschaft unser IHK-Präsident Daniel-Jan Girl und unter anderen die Unternehmer Martin von Hirschhausen und Torsten und Frederic Laukat unter den Gästen.
Hauptredner war das einzig parteilose Mitglied des Berliner Senats, der für Wirtschaft zuständige Ex-Unternehmer Stephan Schwarz.
Was er zu sagen hatte, war ein unideologisches und optimistisches Plädoyer über die Zukunft unserer Stadt. Man dürfe nicht immer nur über die Probleme reden, sondern müsse auch die Erfolge hervorheben. So weise beispielsweise die Summe von 10 Milliarden Euro Investitionskapital nach Berlin im vergangenen Jahr ähnliche Quoten aus wie London und Paris. Unverändert lägen die Schwerpunkte Berlins in den Bereichen Wissenschaft und Forschung. Wachsende Bedeutung komme auch weiterhin der Entwicklung von Medizintechnik und neuen Pharmaprodukten zu. Weiter massiv fördern würde der Senat auch die Informationstechnologie und hier insbesondere die Digitalisierung. Bis zum Jahr 2030 solle jeder Berliner Haushalt digital vernetzt sein. Was der Stadt fehle, seien Facharbeiter und Auszubildende für gewerbliche Berufe. Hier werde der Senat nacharbeiten. Unverändert bleibe auch der Tourismus eine der tragenden Säulen des Wirtschaftsstandorts Berlin.
Natürlich warteten die Zuhörer besonders auf die Stichworte Sauen und Wohnen in Berlin. Frank und frei räumte der Wirtschaftssenator ein, dass die Bürokratie, und hier besonders die langen Bearbeitungsfristen für Bauanträge, ein Problem darstelle. Gleichzeitig wies er auf wachsende Konkurrenz zwischen Gewerbeinvestitionen und Wohnungsbau hin. Die Stadt habe einfach zu wenig Bauflächen. Hier bestehe ein ständiger Konflikt zwischen weiterer Verdichtung und mehr Hochbau versus der Neuerschließung von Baugrund, allerdings nicht unter Verzicht auf städtische Grünflächen. Nur die Vergrößerung des Angebots könne die Mietentwicklung im Sinne der Bewohner verbessern.
Am Ende hatte Wirtschaftssenator Schwarz noch einen deutlichen Hinweis: In Folge des
strukturellen Umbaus der Energieversorgung hin zu einer Unabhängigkeit von russischen Importen könne es auch in Berlin zu Engpässen bei der Stromversorgung kommen. Wobei, wie Schwarz versicherte, der Senat alles in seiner Macht stehende tun werde, derartige Notlagen zu vermeiden.
Krönender Abschluss des Reigens der Referenten war der jahrzehntelange innenpolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach. Als ausgesprochene rheinische Frohnatur brachte er das Publikum gleich mehrfach zum Lachen. Dann aber ging’s zur Sache: Einer der letzten alten Haudegen in der Politik rief er dazu auf, sich des Wertes einer freien Gesellschaft wieder bewusster zu machen. An die politisch Verantwortlichen appellierte er, die vielen und notwendigen Veränderungen unserer Gesellschaft im Dialog mit den Bürgern zu erklären und zu begründen. Andernfalls könne unser demokratisches System Schaden nehmen, wovon nur die Feinde der Freiheit von links und rechts profitieren würden.
Mit einem viel gelobten Buffet ging dieser „Neujahrsempfang“ des RDM im Mai in harmonischer und dennoch gedämpfterer Stimmung als sonst zu Ende. Bleibt nur noch der Dank an die Gastgeber und ganz besonders an Markus Gruhn.
In einer Zeit zunehmender Polarisierung sind die Zusammenkünfte des RDM ein Juwel in dem ansonsten oft so belanglosen gesellschaftlichen Tingeltangel. Das Beste aber kam von Markus Gruhn selbst, indem er an die immer gültige Aufforderung des Papstes, Johannes Paul 2., erinnerte, welche er 1978 nach seiner Wahl auf dem Petersplatz insbesondere an seine polnischen Landsleute gerichtet, die kurz vor einer Invasion sowjetischer Truppen standen, um vor allen die Gewerkschaft Solidarnosc zu vernichten. Papst Johannes Paul 2. sagte nur drei Worte:“ HABT KEINE ANGST!“